Vorwort

Die siebenarmige Menora ist ein wichtiges Symbol der jüdischen Tradition. Sie verkörpert das Licht, das von Gott geschaffen wurde, um Leben zu spenden und Erleuchtung zu bringen. In diesem Licht soll Israel wandeln und selber zu einem "Licht unter den Völkern" werden (Jes 42,6). Immer wieder taucht die Menora in der jüdischen Geschichte auf. Umrahmt von Olivenzweigen wurde sie 1948 zum offiziellen Emblem des Staates Israel. Der fünf Meter hohe Leuchter aus Bronze vor dem Parlamentsgebäude (der Knesset) in Jerusalem, der Thema dieses Buches ist, wurde 1956 von dem jüdischen Künstler Benno Elkan fertiggestellt und in dem gleichen Jahr von der British Labour Party der Knesset als "Geschenk des ältesten an das jüngste Parlament" übergeben. Auf der Menora sind 29 Motive abgebildet, die jeweils ein charakteristisches Moment der Geschichte Israels darstellen. So lädt die Menora dazu ein, über einen bestimmten Abschnitt dieser Geschichte, über Zusammenhänge zwischen den Motiven und die Geschichte Israels nachzusinnen. Das vorliegende Buch folgt dieser Einladung, indem es in 29 Artikeln bei allen Motiven einzeln stehen bleibt, hin und wieder Querverbindungen und Möglichkeiten einer Zusammenschau aufzeigt.

Elkan hat im Laufe seines Lebens mehrere Menorot mit unterschiedlichen Motiven - und das heißt mit unterschiedlichen Sichtweisen auf die Geschichte Israels - angefertigt. Über eines dieser Kunstwerke in der Westminster Abbey in London schreibt Elkan 1926, daß Mose, die Tafeln des Bundes enthüllend, das Zentrum bildet. Sieht Elkan zu jener Zeit Mose und die Tora als Mittelpunkt der jüdischen Geschichte, so rückt er nach der Schoa auf der Jerusalemer Menora die Auferstehungsvision des Propheten Ezechiel ins Zentrum der Betrachtung. Elkan führt uns vor Augen, daß es die Deutung der Geschichte Israels nicht gibt. Die Geschichte Israels zeigt ihre Lebendigkeit darin, daß sie jede Generation neu anspricht und keiner autoritativen Deutung unterliegt. Sogar die Bildkomposition der Jerusalemer Menora ist in ihrem Zusammenhang nicht eindeutig. Auch wenn Ezechiel und die Auferstehungsvision eine zentrale Position einnehmen, ist damit noch nicht gesagt, wie die prophetische Vision (Motiv 4) und die geschichtlichen Ereignisse, wie der Aufstand im Warschauer Getto (Motiv 3) und der Aufbau des Staates (Motiv 1) sich konkret zueinander verhalten. Hinzu kommt die Frage, welche Bedeutung man dem prophetischen Text auf dem untersten Arm der Menora beimißt: "Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist" (Sacharja 4,6). Auch die Jerusalemer Menora ist somit eine Einladung, selber über den Weg Gottes mit seinem Volk nachzudenken.

Das vorliegende Buch ist eine Frucht jüdisch-christlicher Begegnung, wie sie in Westeuropa nach 1945 langsam in Gang gekommen ist. In der Redaktionsgruppe hat es eine jüdisch-christliche Zusammenarbeit gegeben, und sowohl jüdische als auch christliche Autoren und Autorinnen haben an der Entstehung des Buches mitgewirkt. Schließlich ist das Thema des Buches selbst Ausdruck jüdisch-christlicher Begegnung. "Die Menora. Ein Gang durch die Geschichte Israels" bezeugt als christlich initiiertes Projekt, daß Christen und Christinnen anfangen zu lernen, die Treue Gottes zu seinem Volk Israel bis heute ernstzunehmen. Von dieser Erkenntnis her wächst neues Nachdenken über die Geschichtlichkeit Gottes, in Israel und - von Israel her - auch unter den Völkern. Insofern die Jerusalemer Menora dazu beiträgt, diesen Weg zu suchen und zu gehen, wird sie zum Licht der Völker.

Redaktionelle Bemerkungen

Die Geschichtlichkeit Gottes bedeutet nicht, daß Gott seine Freiheit zum Handeln preisgibt. Diese bleibende Unverfügbarkeit Gottes findet ihren Ausdruck in dem Gottesnamen. Der besteht im hebräischen Text aus vier Konsonanten (JHWH), die in der jüdischen Tradition nicht ausgesprochen werden dürfen. Überall wo der Eigenname Gottes im hebräischen Text steht, wird Adonai gelesen, was übersetzt "mein Herr" heißt. Deswegen haben die meisten Übersetzungen "HERR" an diesen Stellen. Die vielfältige Wiedergabe des Gottesnamens in diesem Buch (Adonaj, der HERR, JHWH, GOTT, G"tt, ER, der Ewige, "der Heilige, gelobt sei ER") bezeugt, daß wir immer wieder herausgefordert werden, den Namen Gottes in Worten zu fassen und diese Worte auch wieder fallen zu lassen. In abgeleiteter Form gilt für die unterschiedlichen Bibelübersetzungen ähnliches. Auch hier bietet die Vielfältigkeit ein geheimnisvolles Mehr gegenüber jeder Vereinheitlichung. Weil die meisten Autoren und Autorinnen eine Mischung aus eigener Übersetzung und Luther-, Zürcher-, Jerusalemer-, oder Buber-Rosenzweig Übersetzung benutzt haben, wurde auf nähere Angaben der jeweils benutzten Bibelübersetzungen verzichtet.

Im Anhang befindet sich ein Überblick über die benutzten Abkürzungen der biblischen Bücher, ein Glossar, in dem Fremdworte wie Tora, Talmud usw. erklärt werden, und eine Zeittafel, die bei einer geschichtlichen Einordnung der Motive behilflich sein will.

Jeder der 29 Artikel zu den Motiven beginnt mit einer Abbildung, die in einem meditativen Text erklärt wird, der direkt zum Vorlesen geeignet ist. Unter dem Stichwort Materialien folgen einige Seiten, die die im Motiv angesprochenen Themen vertiefen. Das Buch ist Teil einer Medienmappe. Zu ihr gehören 32 Dias und ein Satz Overhead-Folien mit allen Motiven der Menora. Vierter Baustein ist eine Multimedia-CD-Rom, die neben den Fotos und Texten des Buches zusätzliche Abbildungen, Texte und Musikbeispiele aus der jüdischen Tradition (interpretiert von Daniel Kempin) enthält.