Nicht durch Macht und nicht durch Stärke ...

von Ezra BenGershom

Dr. Ezra BenGershom, geb. 1922, lebte 1942-1943 verkleidet als "Hitlerjunge" in Berlin. Er hat diese Zeit beschrieben in: "David, Aufzeichnungen eines Überlebenden" (von Peter Lilienthal verfilmt). Nach seiner Flucht 1943 studierte er Biochemie in Jerusalem. Von 1960 bis 1985 war er Chef des biochemischen Labors an einem Kinderkrankenhaus in Rotterdam. Er ist Mitbegründer der Stiftung "Inter Homines", die zu persönlicher Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung und zu einer Verständigung zwischen Juden, Christen und Muslimen beitragen will. Seit 1985 lebt er in Jerusalem.

"Das ist das Wort des Ewigen an Serubbabel: nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist spricht der Herr der Heerscharen." (Sacharja 4,6) Man muß diesen Ausspruch, der auf dem untersten Arm der Menora geschrieben steht, nicht isoliert lesen, sondern im Zusammenhang der ersten sechs Kapitel des Buches Sacharja, eigentlich in noch viel weiteren Zusammenhängen. Zunächst darf nicht übersehen werden, welche andere Stimmen in den prophetischen und geschichtlichen Büchern der Hebräischen Bibel sich auf die Ereignisse zu Zeiten des Sacharja beziehen. Es gibt Texte in der Bibel, die dem Wort Sacharjas zu widersprechen scheinen. Auch die Gedanken, die Toraausleger und das Volk im Laufe vieler Generationen mit dem Ausspruch verbanden, sind beachtenswert.

Manche Bibelerklärer erkennen in ihm eine zweifache Absicht. Die Juden, die zusammen mit dem Hohenpriester Josua und mit Serubbabel, einem späten Sproß des Königs David, aus der babylonischen Gefangenschaft in die Heimat ihrer Väter zurückkehrten, fanden in ihrem Land Ruinen und von Unkraut überwucherte Felder. In was für einem armseligen Zustand sich die Rückkehrer sogar noch eine Generation später befanden, erfahren wir aus dem biblischen Buch Nehemia. Die fremden Volksstämme, die sich im Lande angesiedelt hatten, verspotteten die Juden, die sich wieder einen Tempel und ummauerte Städte bauen wollten. Sie verleumdeten sie vor den persischen Oberherren als Rebellen und taten alles mögliche, um den Wiederaufbau zu vereiteln. Da verloren so manche Rückkehrer den Mut. Wie weit war doch die Wirklichkeit von den großen Erwartungen entfernt, die Jesaja und andere große Propheten mit ihren Visionen erweckt hatten! Wo war das wiedererstandene Reich und sein König aus Davids Geschlecht, den alle Völker als "Maschiach" (Messias), einen Gesalbten Gottes, verehren würden? In Wirklichkeit war Judäa eine winzige Provinz im gewaltigen Perserreich. Da trat Sacharja auf, um den Rückkehrern neuen Mut einzuflößen, und redete ihnen zu, im Vertrauen auf eine lichtvollere Zukunft ihr Werk doch fortzusetzen. Er sprach auch dem Hohenpriester Josua und dem Königsanwärter Serubbabel, die beide ihrer Sache noch nicht sicher waren, Mut zu, und er versuchte ihnen im Volk Anerkennung zu verschaffen.

Glich die Lage der ersten zionistischen Siedler, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts, von Malaria-Mücken umschwärmt, Sümpfe trocken legten, nicht ein bißchen der der Rückkehrer aus dem babylonischen Exil? Wer hätte damals geglaubt, daß diese "Chaluzim" (Pioniere) tatsächlich die Grundlage für den Staat Israel schaffen würden? Grund genug, um die Bedeutung des goldenen, siebenarmigen Leuchters in Sacharja 4,6 zweieinhalb Jahrtausende später auf der Menora gegenüber der Knesset in Erinnerung zu rufen.

Doch die Bedeutsamkeit prophetischer Aussprüche geht uns oft erst auf, wenn wir tiefer darüber nachsinnen. Das gilt ganz besonders für das Traumgesicht mit dem goldenen Leuchter und die anderen geheimnisvollen Traumgesichte im Buche Sacharja, an denen der Prophet Sacharja selber herumrätselte, um dann den Engel um Erklärungen zu bitten.

"Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr der Heerscharen." Der Ausspruch klang zu gewaltig, um sich nur auf die damalige Stunde der Geschichte zu beziehen. Seit langem haben Juden, und nicht nur Juden, aus diesem Satz noch anderes herausgehört: sie hörten das messianische Ideal des Friedens zwischen allen Völkern heraus, das schon von den großen Vorgängern des Sacharja, von den Propheten Micha und Jesaja, verkündet worden war. Weltfriede, kein Streben mehr nach Macht und Herrschaft als oberstem Ziel, keine Kriege mehr!

Welcher wohlmeinende Mensch würde dem nicht zustimmen! Den Friedensbewegungen hätte der Satz Sacharja 4,6 als Losung dienen können. Bekanntlich formierten sich vom 19. Jahrhundert an verschiedene Friedensbewegungen in den USA und Europa. Leider aber stellte sich heraus, daß nicht nur Krieg um jeden Preis, sondern auch eine Politik des "Friedens um jeden Preis" schlimme Folgen haben konnte. Wäre es je zum Zweiten Weltkrieg gekommen, wenn nicht England und Frankreich geglaubt hätten, durch das Münchener Abkommen 1938 den Frieden zu retten? Eine Hitlerregierung konnte man nur mit geballter Faust, mit Panzern und Luftstreitkräften abschrecken und durch glaubwürdige militärische Kampfbereitschaft. Hätten die Juden wieder ein eigenes Land erlangt, wenn sie Gandhis Ratschläge befolgt hätten, gegen Nazi-Deutschland passiven Widerstand zu leisten? Eine friedliche Verständigung mit den Arabern hatten auch die ersten Zionisten vor Augen und heute wieder die israelischen Friedensbewegungen. Aber ohne die militärischen Stärke Israels kämen die israelischen Friedensbewegungen in den Verdacht, nur aus Schwäche den Frieden zu wollen.

Wehrlos den Judenverfolgungen preisgegeben zu sein und nur auf die messianische Erlösung zu warten, konnte schlimme Folgen haben. Schlimme Folgen konnte aber auch blindwütiger Aufstand gegen eine Großmacht haben. Darauf deuten andere Bilder in Elkans Menora hin, namentlich die Darstellungen von Bar Kochbas Untergang als Beispiel des falschen Vertrauens auf Gewalt und der Aufstand im Warschauer Getto als Beispiel einer militärisch aussichtslosen, aber notwendigen Auflehnung gegen das Böse.

Sacharjas Wort "nicht durch Macht und nicht durch Stärke ..." hat nichts von seiner Bedeutung verloren. Doch schon einige Jahrzehnte nach Sacharja fühlte sich der Statthalter Nehemia gezwungen, Waffengewalt zu gebrauchen. Den Wiedererbauern der Jerusalemer Stadtmauer, die sich unter lebensbedrohlichen Umständen von einer feindlichen Menge im Werk behindert sahen, erteilte er seine Anweisungen: "Und es geschah vom selbigen Tage an, daß die Hälfte meiner Mannen an dem Werke arbeitete, und die Hälfte hielt die Lanzen, die Schilde und die Panzer. Die Bauleute an der Mauer (bauten) und die Lastträger luden auf; mit der einen Hand arbeitete er am Werke, und die andere hielt die Waffe." (Nehemia 4,10f.)

Nach der volkstümlichen Auffassung war es Sache der Propheten, die Zukunft in allen Einzelheiten vorauszusagen. In Wirklichkeit war ihr Auftrag, das Volk zurechtzuweisen und zu erziehen und ihnen die großen Ideale vorzuzeichnen, nach denen alle Menschen ihr Leben richten sollten. Darum beeinträchtigte es auch nicht das Ansehen der Propheten, wenn manche ihrer Voraussagen nicht in Erfüllung gingen, so z.B. nicht die Erwartung, mit der man der Rolle des Thronanwärters Serubbabel entgegensah. Serubbabel wird in der Bibel nicht weiter erwähnt. Niemand weiß, was schließlich sein Los war. Erst drei Jahrhunderte nach ihm erstand wieder ein jüdisches Königreich. Doch die Könige stammten nicht aus Davids Geschlecht, sondern dem der Makkabäer, die gegen die erste Glaubensverfolgung der Geschichte mit Waffengewalt rebellierten. Ihr Sieg wird bis heute alljährlich mit dem Entzünden der Chanukkalichter gefeiert. Nicht zufällig wurde dem Chanukkaleuchter oft eine Form gegeben, die dem Leuchter des Tempels ähnelt. Nur ist er nicht sieben-, sondern achtarmig. Im historischen Gedächtnis des jüdischen Volkes flossen beide Leuchter zu einem Symbol zusammen. Es wurde zum Wappen des Staates Israel.