Die Menora in Jerusalem von Benno Elkan
Aufbau und Reliefs
von Hannelore Künzl
Prof. Dr. Hannelore Künzl, geb. 1940, ist seit 1985 Professorin für jüdische Kunst an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
Der 1877 in Dortmund geborene Benno Elkan widmete sich vorrangig Plastik und Relief. Nach seiner Emigration nach London im Jahre 1934 nahm er eine weitere Kunstform auf: Er schuf dekorierte Leuchter für zwei Colleges in Cambridge und Oxford. Besonders hervorzuheben aber sind zwei Leuchter, die er für die Londoner Westminster Abbey schuf, weil er hier die Idee von der Verbindung eines Leuchters mit einem Bildprogramm in Reliefs zum ersten Male verwirklichte, eine Idee, die dann im späteren Jerusalemer Leuchter ihren Endpunkt fand. Die Reliefs der beiden Londoner Leuchter sind Themen der Hebräischen Bibel und des Neuen Testamentes gewidmet und sind daher für eine Kirche gut geeignet.
Aus dem Spätwerk des 1960 verstorbenen Künstlers ist aus künstlerischer Sicht ein Entwurf für ein Mahnmal für die wehrlosen Opfer des Bombenkriegs hervorzuheben, zu dem er 1959 ein Tonmodell schuf und das mit seinen übereinander gestapelten Leibern eine Abkehr von einzelnen Portraits oder Statuen zugunsten einer Bildkomposition mit mehreren Gestalten zeigt. Und natürlich stammt aus dieser Zeit die Jerusalemer Menora, die als die bedeutendste Arbeit seines Spätwerkes gilt, auf deren Reliefs ähnliche Bildkompositionen vorkommen.
Die Idee zu diesem Leuchter entstand bereits 1947 und knüpft formal an die beiden Londoner Leuchter an. Inhaltlich aber treten Veränderungen auf: Elkan verzichtet auf christliche Themen des Neuen Testaments, reduziert auch die jüdischen Themen keineswegs auf die Hebräische Bibel, sondern schafft Reliefs zur Geschichte des jüdischen Volkes von der biblischen Zeit bis zur Moderne mit der Gründung des Staates Israel, im Jahre 1948, die sicherlich auch zur Idee des Leuchters beitrug.
1949 beginnt Elkan mit der Herstellung der einzelnen Reliefs, die er als Hochreliefs arbeitet, mit zum Teil plastisch hervortretenden Gestalten vor flachem Hintergrund, so daß sich hier seine Vorliebe für Plastik und Relief in einer Verschmelzung beider Kunstgenera miteinander ausdrückt. 1956 ist die Menora aus Bronze in den Maßen 457 x 365 cm fertiggestellt. Noch im gleichen Jahr wird sie von der Britisch Labour Party an die Knesset in Jerusalem als Schenkung übergeben. Ihren heutigen Standort gegenüber dem Eingang zur Knesset erhielt sie 1966, nachdem das Gebäude fertiggestellt war.
Der siebenarmige Leuchter besteht aus einem Mittelstamm und jeweils drei Seitenarmen. Der Mittelstamm ist völlig mit Reliefs überzogen. Es sind sieben - hier wiederholt sich die Zahl sieben, die allgemein in der jüdischen Kunst als Symbolzahl für die Schöpfung gilt. Dagegen sind die äußeren und mittleren Leuchterarme mit je vier Reliefs, die inneren mit je drei Reliefs dekoriert, während der untere ausschwingende Teil der Leuchterarme mit einem hebräischen Zitat aus Sacharja 4,6 "Nicht durch Macht, nicht durch Kraft, allein durch meinen Geist - so spricht der Herr" dekoriert ist. In den Armen darüber finden sich die Symbole für die 12 Stämme. Der Mittelstamm ist inhaltlich der wichtigste. Er nimmt biblische und moderne Themen auf, während die Reliefs auf den Seitenarmen Themen zur römischen Antike und zum Mittelalter zeigen. Die insgesamt 29 Reliefs sind eine Art Kurzfassung jüdischer Geschichte, sind aber zugleich auch aufeinander bezogen.
Der Mittelstamm
Der Mittelstamm besitzt folgenden Themen, von oben nach unten:
1. Moses wird von Aaron und Hur gestützt (Ex 17,8-16), da der Sieg über die Amalekiter nur gesichert ist, solange Moses die Arme hebt. Das bedeutet, daß das Judentum in seiner biblischen Schlacht zwar siegt, aber nur unter größter Anstrengung, da sich Moses, sonst die strahlende Führergestalt, auf zwei Begleiter stützen muß, um nicht zusammenzubrechen. - Amalek, das ist der Vernichter, der die Juden ausradieren wollte, so daß ein neuzeitlicher Bezug zu Hitler nicht abwegig scheint.
2. Die Gesetzestafeln. - Der Bezug zur Gesetzgebung auf dem Sinai ist durch die Moses-Gestalt darüber hergestellt. Das Gesetz, in Form der beiden Schrifttafeln von Moses empfangen, ist für das ganze Volk Israel und für alle Zeiten verbindlich - es ist daher ein geschichtsübergreifendes Motiv, das auf die biblischen Themen des Leuchterschaftes weist, wie auch auf die modernen.
3. Rahel und Rut. - Rahel, die Mutter von Joseph und Benjamin, ist eine der Stamm-Mütter. In Jeremia 31,15 wird berichtet, daß Rahel über ihre Kinder weint; es sind nicht die eigenen, sondern gemeint sind die Kinder Israel, die ins babylonische Exil geschickt werden. Die Verbindung zu Rut ist nur in Rut 4,11 hergestellt, wo anläßlich der Hochzeit von Rut und Boas Rut mit Rahel und Lea verglichen wird. Denn Rut ist auch eine Stamm-Mutter der Königslinie. Das Relief verbindet die Erfahrung des Exils (in der trauernden Rahel) mit der Rückkehr nach Jerusalem, da David Jerusalem zu seiner Hauptstadt macht und sein Sohn Salomo dort den Tempel errichtet, der durch den Leuchter und den Vorhang angedeutet wird. Die Krone ist Zeichen des Königtums.
4. Der Prophet Ezechiel. - Er schaut die Zukunft mit dem wiedererstehenden 3. Tempel und die Wiederbelebung bzw. Auferstehung der Toten (Kap. 37) in der Endzeit, die hier als halb verweste Gestalten unterhalb des Propheten dargestellt sind. Das Relief bringt Trost. Das Volk stirbt zwar, doch es wird am Ende aller Tage wieder zum Leben erweckt.
5. Aufstand im Warschauer Getto. - Dieses Ereignis der jüngsten Geschichte zeigt den fast aussichtslosen Kampf gegen die deutsche Übermacht, die den Aufstand brutal niederschlägt. Elkan zeigt symbolisch die verschiedenen Menschengruppen, die Religiösen im Mann mit der Tora, die Kämpfer mit ihren Gewehren, hilflose Frauen mit Kindern, herabstürzende Tote und am oberen Bildrand die Gettomauer und die brennenden Häuser.
6. Schâma Jisrael - "Höre Israel" ist der Beginn eines Gebetes (Dtn 6,4), das zu den wichtigsten zählt und gerade in der Stunde höchster Not und des Todes gebetet wird. Die beiden hebräischen Worte sind in einer runde, von einem Flechtband umrahmte Kartusche gesetzt und mit Flammen oder Strahlen umrahmt. Die Flammen können symbolisch für Feuer (im Krieg) stehen, Sonnenstrahlen sind seit der Antike das Symbol für das Göttliche bzw. für das Einwirken Gottes auf das Geschehen auf Erden. Möglicherweise hat der Künstler hier beide Ideen miteinander verknüpft.
7. Aufbau des Staates Israel. - Abgebildet sind die Pioniere, die das Land aufgebaut und die Gründung des Staates vorbereitet haben. Man erkennt Menschen, die die Felder bestellen, die Bäume pflanzen und mit Werkzeugen arbeiten.
Die sieben Reliefs geben eine kurzgefaßte Geschichte des jüdischen Volkes wieder, wobei Themen der biblischen Zeit und der Moderne aufgenommen sind, während die aus der römischen Antike oder aus dem Mittelalter fehlen (diese finden sich in den Seitenarmen). So wird ein übergangsloser Zusammenhang von der biblischen Zeit zur Moderne geschaffen, mit Themen aus der dunkelsten Geschichte der biblischen Zeit (Moses - Amalek) und der Moderne (Warschauer Aufstand), doch das Relief des Ezechiel mit der Auferstehung der Toten und die Verbindung von Verzweiflung und Freude (Rahel und Rut) spenden Trost. Das heißt, das Negative wird dann doch ins Positive gekehrt. Trotz allen Übels und aller Schwierigkeiten kann der Mensch trostreich in die Zukunft sehen.
Dieser Grundaussage auf dem Mittelstamm sind die Seitenarme zugeordnet, die detaillierter auf die Problematik eingehen.
Die äußeren Arme
Die äußeren Arme sind von rechts nach links zu lesen und entsprechen der Aussage des Sacharja-Verses, denn rechts sind die Macht und die Kraft vorgeführt, die nicht zum Erfolg führen, und links der Geist.
Auf der rechten Seite erscheint oben der klagende Jeremia, der den Untergang vorausschaut, unten der Prophet Nehemia, der die Menschen zum Wiederaufbau der Stadt auffordert, dazwischen die fünf Makkabäer, die den physischen Kampf mit den Feinden aufnehmen, da sie den Seleukiden-Herrscher besiegen und den Tempel wiedereinweihen, also Macht und Widerstand demonstrieren. Der Fromme, der Chassid, ist die Symbolfigur für den passiven Widerstand.
Auf der linken Seite erscheint oben Jesaja mit seiner Friedensvision der friedlich nebeneinander existierenden Tiere (Jes 11,1-10), darunter Jochanan ben Zakkai, der die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. überlebt und beweint, darunter ein Relief mit zwei Gestalten aus dem goldenen Zeitalter des frühmittelalterlichen Spanien. Er hält zwei mit "Aristoteles" und "Mischna Tora" bezeichnete Bücher. Neben ihm erscheint der Sänger-Dichter mit einer Harfe als künstlerische Anspielung auf David mit der Harfe, vielleicht als Jehuda Halevi zu identifizieren. So vereinen sich hier Philosophie und Dichtung des spanischen Mittelalters. Zum Abschluß erscheint in rundem Medaillon eine Szene aus Psalm 137: An den Wassern Babylons saßen wir ...!
Auch dieses Ensemble ist trostreich: rechts die Macht und die Kraft, die den Untergang nicht verhindern kann, links der Geist bzw. die geistige Auseinandersetzung mit den tragischen Ereignissen, die doch zu einer Rückkehr aus dem Exil führen (Ps 137). Sie werden in der Mitte vereint mit dem Relief zum Aufstand in Warschau.
Die mittleren Arme
Die mittleren Arme, die mit dem Mittelstamm von Ezechiel und der Auferstehung der Toten verbunden sind, sind im weitesten Sinne der Auseinandersetzung mit der Tora gewidmet bzw. mit ihr verknüpft.
Auf der linken Seite oben ist Esra der Schreiber dargestellt. Er hält eine Schriftrolle in Händen, darunter folgt Hiob, der Verzweifelte, der trotz aller Prüfungen zu Gott hält und an der Tora festhält. Dann folgt ein Talmudgelehrter, der in einem Buch schreibt, neben ihm der Zaun der Tora. Darunter im runden Medaillon eine Symbolgestalt für die Haggada, die erzählerische Ausdeutung des Gesetzes.
Auf der rechten Seite ist das obere Relief Hillel gewidmet, der einen Schüler unterrichtet, darunter der gefesselte Chanina ben Teradion, ein Mann im antiken Rom, der sich von der Tora nicht lossagt und daher zum Märtyrer wird. Dann folgt die Kabbala als Zeichen für die Auseinandersetzung mit der Tora in der Mystik, und schließlich ein Relief, das in der Literatur als die Halacha bezeichnet wird. Gezeigt ist hier Aaron als Hohepriester, der verzweifelt die Arme hebt, denn vor ihm liegen seine beiden toten Söhne Nadab und Abihu, die dem Herrn in der Wüste ein fremdes Feuer opfern und daher mit dem Tode bestraft werden (Num 3,4). Das heißt, sie haben die Gesetze der Tora übertreten und werden deshalb bestraft.
So finden sich hier der Verzweifelte, der an der Tora festhält und belohnt wird (Hiob) oder den Märtyrertod erleiden muß (Chanina), der Schreiber und der Lehrer, die Auslegung des Gesetzes und die Strafe, wenn man es nicht befolgt.
Die inneren Arme
Die inneren Arme sind im weitesten Sinne dem Ort Jerusalem bzw. dem Land Israel gewidmet: auf der linken Seite den realen Ereignissen, auf der rechten Seite der geistigen Auseinandersetzung bzw. der Messias-Hoffnung.
Links oben erscheint David mit dem Kopf des Goliath vor dem Hintergrund der Harfe. Es ist David, der Eroberer der Stadt Jerusalem und David, der Psalmensänger. Unten ist Abraham gezeigt, der Stammvater des Volkes überhaupt, der durch das Isaakopfer auf dem Berg Moria mit dem Tempelberg in Jerusalem verknüpft ist. Dazwischen ist ein modernes Thema dargestellt: die Rückkehr der Juden nach Israel. Sie kommen mit dem Schiff und werfen den Anker aus. - Von Abraham geht das Volk aus, das nach Kanaan zieht und Jerusalem zu seiner Hauptstadt macht, und das nach langer Zeit nun wieder zurückkehrt.
Auf der rechten Seite erscheint oben Bar Kochbas Untergang. Die antike Vorstellung von Bar Kochba als Messias erwies sich als falsch, daher fällt sein Stern hinab (Bar Kochba heißt wörtlich "Sternensohn"). Dies leitet über zum mittleren Relief der Messias-Hoffnung, die sich - in Zukunft - noch erfüllen wird. Sie wird symbolisiert durch Menschen, die hoffnungsvoll und sehnsuchtsvoll ihre Arme nach der Stadt Jerusalem strecken. Die Stadt auf dem Hügel erscheint vor der aufgehenden Sonne mit ihren großen Strahlen, die als Gottessymbol zu deuten ist. Schließlich folgt Jakobs Kampf mit dem Mann (Gen 32,25ff.), der in der Kunst öfters als Engel dargestellt ist. Nach dem Kampf wird Jakob in Israel umbenannt, und nun beginnt die Geschichte, aber auch die Heilsgeschichte Israels, die mit der Ankunft des Messias ihr Ende findet.
Die 29 Reliefs sind Themen der jüdischen Geschichte von der biblischen Zeit bis in die Moderne gewidmet, die sich auf reale Ereignisse, aber auch auf Zukunftshoffnungen beziehen, wobei die Propheten (äußere Arme), die Tora (mittlere Arme), Jerusalem und das Land Israel (innere Arme) die wichtigsten Themenblöcke bilden.
Rein künstlerisch sind die obersten Reliefs der sieben Arme durch ihre Größe, aber auch durch die plastisch hervortretenden Gestalten besonders hervorgehoben. Inhaltlich ist durch Jesaja und Jeremia außen die Prophetie betont, in der Mitte durch Hillel und Esra die Tora, die gelehrt und aufgeschrieben wird, und innen durch David und Bar Kochba Anfang und Untergang der Stadt Jerusalem symbolisiert. Im Zentrum steht Moses, der Gesetzgeber, der aber auch um den Bestand des Volkes ringt und schließlich darin siegt.
So bilden die 29 Reliefs keine bloße "Geschichtserzählung", sondern sie zeigen Bildszenen vor dem religiösen Hintergrund und damit das Judentum in seiner historischen Dimension und religiösen Bedeutung.